Die Anti-Mommy-Wars

Ich habe gerade fünf Tage Feldstudie hinter mir – fünf Tage, die wir bei uns zuhause mit meiner französischen Freundin, ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter verbracht haben. Meine Freundin ist die Taufpatin von Copperfield. Die Taufe war am Sonntag:




Meine Freundin und ich telefonieren (un)regelmässig und schicken uns Fotos, Videos etc. Gesehen haben wir uns zum letzten Mal an meiner Hochzeit vor sechs Jahren, aber ich kenne sie seit meinem siebten Lebensjahr, also schon eine ganze Weile. Und deshalb kann ich euch heute etwas ganz Spannendes beschreiben. Meine Feldstudie zu den Anti-Mommy-Wars.

Schon am ersten Tag tauschten wir uns darüber aus, wie furchtbar wir es doch finden, dass sich Mütter bekriegen und immer alles besser wissen wollen. Wir waren uns voll einig und ich war froh. Auch sie ist gegen Helicopter Parenting, lässt ihrer Tochter den nötigen Auslauf und rennt ihr nicht gleich verängstigt hinterher. Wir waren auf einer Wellenlänge.

Neutralität leben
Wir stellten sehr schnell fest, wo denn unsere Unterschiede sind. Meine Freundin ist zum Beispiel selber jemand, der immer zu heiss hat und alle Fenster aufreisst. Unnütz zu erklären, dass wir ein Minergie-Haus haben mit Komfort-Lüftung. Ich fror mir also als gute Gastgeberin fünf Tage lang den Arsch ab in meinem eigenen Haus. Ihre Tochter durfte frühmorgens um 8 in kurzer Hose und Shirt auf dem Trampolin rumhüpfen. Also musste ich das auch LadyGaga erlauben. Ich, die ich immer dreimal nachfrage, ob mein Kind nicht zu kalt oder zu heiss hat. Ich holte meine Tochter dann aber doch jeweils rein, um ihr eine lange Jogginghose anzuziehen. Ich konnte wollte nicht anders. Meine Freundin zog dann mir zuliebe ihrem Mädchen eine Kleidchen an, so dass beide Kids sich umziehen mussten und es deswegen keine Reklamationen gab. Wir lachten über unserer Eigenheiten als Mütter. Jede von uns wusste, dass die andere halt eben anders ist. Anti-Mommy-Wars.
Die Sache mit dem Essen war heikel. Ich hatte mir extra Schweizer Spezialitäten zum Kochen ausgedacht, da sie das ja zuhause nicht essen würden. Der Gastmann konnte die Nudeln aber nur mit Crème fraîche essen. Und ich sah mehrfach die Augenbrauen meiner Freundin hochgehen, als sie mich jeweils kochen sah. Aber wisst ihr was? Als sie abends einmal eine Pizza für uns machte, war ich meinerseits geschockt, was und wie sie das machte. Und ich dachte: «Ach sei froh, musst Du nicht kochen.» Und es schmeckte sehr g
ut.

Geht es ohne Mommy Wars?
Ziemlich schnell nahm meine (hochschwangere!) Freundin meine Küche in Beschlag. Das machte mich wütend. Am Telefon hatte sie immer gesagt, wie müde sie in dieser Schwangerschaft doch sei. Ich dachte, sie würde viel schlafen wollen. Ich wollte sie schonen. Weit gefehlt. Ich fand sie immer in meiner Küche, putzend. Doch dessen nicht genug. Sie nahm unsere guten, gebügelten Küchenhandtücher und legte sie jeweils auf den Tresen, um dann das nasse Geschirr zum Trocknen darauf zu drapieren. Die Tücher waren klatschnass und wurden dann wiederum von ihr zum Trocknen kreuz und quer in der Küche aufgehängt. WTF?! DAFÜR hatten wir sie jetzt echt nicht gebügelt. Ich verstand und verstehe nicht, warum man eine fremde Küche vereinnahmt und dann auch noch alles anders macht. Ist ja nett, will sie helfen. Aber so?
Am Sonntagmorgen um 8 Uhr fragte sie mich dann, ob ich vor der Taufe nicht noch saugen wolle, bevor die Gäste kämen. Ich schaute sie irritiert an. «Neeeien? … Für uns reicht es so???» Was wollte sie mir damit sagen? Ich war von einer unruhigen Nacht gerädert und legte mich nochmals kurz hin. Als ich eine halbe Stunde später wieder im Wohnzimmer stand, hatte sie alles aufgeräumt, die Kissen des Sofas aufgeplustert und und und. Ich kochte vor Wut und fühlte mich, als würde sie mir vorführen wolle, ich hätte meinen Haushalt nicht im Griff. Als ich später mit meiner Mutter telefonierte und ihr schnaubend davon erzählte, meinte sie, ich solle doch einfach froh sein, dass ICH es nicht hatte machen müssen. Arbeitende Menschen soll man ja bekanntlich nicht stören. Ich beruhigte mich wieder und sagte zähneknirschend nichts. Sie wollte ja nur helfen. Ommmm. Anti-Mommy-Wars.

Gestern Abend nach dem Abendessen erklärte ich LadyGaga, dass sie jetzt noch duschen müsse. Meine Freundin wiederum: «Und Copperfield willst Du ja sicher auch noch baden?» Wieder dieser kleine Knoten im Hals. Jaaa, sag nur, dass mein Sohn schmutzig ist. Warum konnte sie das nicht für sich behalten? Sie fragte mich dieser Tage auch mehrfach, warum ich Copperfield nicht aus dem Laufgitter nehme, das sei ungesund. Als wäre er ständig drin. Ich entgegnete angesäuert, dass ich ihn dann rausnehme, wenn er mich ruft. Mind your own business! Ommmmm. Relax. take it easy.

Und ich?
Ich habe mir fünf Tage lang auf die Zähne gebissen. Dachte ich. Aber ganz so heilig war ich auch nicht. Wohl habe ich gesehen, dass das Besuchskind am Taufsonntag sein Kleidchen verkehrt herum anhatte. Aber ich sagte nichts. Not my business. Am Samstagabend wollten mein Mann und ich einen Kuchen für die Taufe backen und ich fragte, ob es OK sei, wenn ich mit dem Mädchen zusammen den Teig mache. Meine Freundin sagte irritiert, sie würde nie backen, weil sie das einfach nicht könne. Also buk ich mit dem Besuchskind einen Kuchen und LadyGaga mit meinem Mann Muffins. Das Mädchen war begeistert davon, den Teig anmischen und rühren zu dürfen, zu naschen. Sie war so stolz. Meine Freundin stand stumm daneben und fühlte sich wohl fehl am Platz. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn es machte mir Spass, dem Mädchen das alles zu zeigen. Not my business? Ich konnte nicht über meinen Schatten springen, dass ich «diesem armen Mädchen» die Freude des Kuchen backens nahebringen wollte. Klasse, Mama on the rocks, wirklich klasse.

Was mir auch auffiel: Als LadyGaga und das Mädchen zusammen malten, sagte das Besuchskind mehrfach: «Maman, LadyGaga malt ständig über die Linien raus. Das darf sie doch nicht!» Ich war irritiert. Meine Freundin entgegnete: «Ja, das ist halt, weil sie sich nicht konzentriert!» Ich verstand die Welt nicht, liess es aber dabei bewenden, da LadyGaga es ja nicht verstanden hatte. Später malte der Besuchsvater mit seiner Tochter und ich hörte ihn zu seiner Dreijährigen sagen: «Du gibst Dir keine Mühe, so macht man das nicht. Nicht über die Linien malen!»
Huh? Irgendwie tat mir das Mädchen leid. Ich bin so froh und stolz, begeistert sich LadyGaga mittlerweile fürs Malen, Linien hin oder her. So what. Ich blieb stumm. Anti-Mommy-Wars.

Einmal konnte ich aber doch nicht an mich halten. Mine Freundin sagte, sie hätte Kopfschmerzen. Vor ihr stand ein Glas, in dem ein weisses Pulver brutzelte. Ich platzte heraus: «Ich sag jetzt etwas, und wenn Du es nicht hören willst, machst Du einfach die Ohren zu. Bitte bitte, ich hoffe, dass das kein Aspirin ist, sonst riskierst Du eine Fehlgeburt.» Sie schüttelte fragend den Kopf und meinte: «Non non, ich glaube, das ist *murmelmurmel.» Sie stand auf und schaute auf der Verpackung nach. Es war Paracetamol. Ich hätte es mir nicht verziehen, wenn ich hier geschwiegen hätte. Vielleicht ging es ihr ja gleich, als sie fragte, ob Copperfield immer so viel schlafe oder ob das etwas mit seiner Krankheit zu tun habe? Tja, nun mache ich mir wieder wegen Copperfield Sorgen. Seufz, Mami-sein ist manchmal doof.

Und die Kids?
LadyGaga spricht kein Französisch und das Gastkind kein Deutsch. Ich war die einzige, die jeweils übersetzen konnte. Ich fing an, ohne zu überlegen mit meinen Kindern französisch zu sprechen. Mittlerweile denke ich sogar Französisch, mal schauen, wie lange es anhält.
Für die Kinder war der Sprach- und Alters-Gap ziemlich heftig. Wenn sie zusammen auf dem Trampolin waren, ging es gut, abgesehen vom universalen Kreischpegel. Aber ansonsten wurde gestritten, was das Zeug hielt. Wobei vor allem meine Tochter der Ursprung allen Streites war. Sie wollte partout nicht ihre Spielsachen teilen (Meine Freundin: «Mon Dieux, Deine Tochter hat aber echt viele Spielsachen!!!» (man denke sich dabei den etwas vorwurfsvollen Unterton). Wir feilschten und verhandelten um jede Arielle- und Schneewittchenfigur. LadyGaga wurde immer gereizter und auch aggressiver, weil sie fand, das Gastkind dürfe alles. Es zehrte an ihren Nerven. Es zehrte an meinen Nerven. Das Foto zeigt zwei schmollende Mädchen auf dem Trampolin. Meines ist das rechts. Kids-Wars.


Das Ende vom Lied
Gestern Abend meinte meine Freundin: «Hach, wir nehmen so viel mit von diesen Ferien, ich danke euch sehr, wir haben so viel gelernt! LadyGaga hat so viele Spielsachen, und meine Tochter gar nichts. Wir fanden das nicht so wichtig, aber wir werden noch diese Woche auch ein Playmobil-Prinzessinnen-Schloss kaufen, sie hat so begeistert damit gespielt. Wir sind halt zwei Extreme, du und ich. Du hast viel zu viele Spielsachen für Deine Kinder, und ich gar nichts. Ich male nur mit ihr und hab so pädagogisches Zeugs zuhause, aber nicht, was ihr wirklich Spass macht. Das werden wir ändern. Und ihr seid so gelassen mit den Kindern, das bewundern wir. Wir werden versuchen, weniger auszuflippen zuhause.»
Huh? Ich war baff. So viel zu den Mommy Wars. Ich hakte nach: «Und ich dachte schon, Du würdest sagen, wir sind viel zu lasch mit der Kleinen?» Darauf sie: «Oh, das ist schon so. Ich finde, ihr könntet ruhig strenger sein. Ihr lasst ihr viel zu viel durchgehen.»

Ach, hätt ich doch nicht nachgehakt.

Die Feldstudie hat gezeigt: Selbst mit den besten Absichten beiderseits lässt sich der Erziehungsgraben nicht ganz wegrationalisieren. Wir erziehen unsere Kids einfach anders. Mütter unter sich balancieren stets auf einem Drahtseil der Missverständnisse, Vorwürfe und Wertungen. Ich bin da keine Ausnahme, wie dieses Wochenende gezeigt hat. Der soziale Druck (meine Küc
he, mein Haushalt, meine Kinder! Oder: Meine Karriere, mein XYZ…) macht auch vor Freundinnen keinen Halt, wobei mein Besuch ja jetzt nachhause geht und aufgrund von unserem Familienleben Dinge ändern will. Irgendwie auch toll. Es war anstrengend, es hat Spass gemacht, aber jetzt bin ich froh, sind wir wieder alleine. Und ich habe meine Küche wieder für mich.

5 thoughts on “Die Anti-Mommy-Wars

  1. Schön geschrieben. Und ich muss mich anschließen, unsere 3,5jährige malt auch über die Linien, das ist auch in dem Alter normal 😉 Aber ich habe mich wiedererkannt, wir sind auch "lasch"….und unsere Kinder haben einen Spielzeugladen als Kinderzimmer 😀 Aber auch ich sage immer wieder 3 Tage reichen aus mit der besten Freundin (die bei mir auch 2 Kinder hat und eine ganz andere Erziehung) 😉

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